Yasemin Kamışlı

Wir vergessen Nie - Rede zum vierten Jahrestag des Anschlags in Hanau

Nun ist es vier Jahre her. Der rassistische Terroranschlag von Hanau ist heute vier Jahre her. Und auch nach vier Jahren, stellen wir uns die selben Fragen wie 2020, wie 2021, wie 2022, wie 2023 - wieso gibt es bis heute keine lückenlose Aufklärung? Wieso konnte der Rassistische Täter sein rechtsextremes Gedankengut ohne folgen vor dem Anschlag auf Hanaus Straßen und im Netz verteilen? Wieso durfte ein Rechtsextremist - der den Behörden mehrfach aufgefallen ist - weiterhin eine Waffe mit sich tragen? Wieso funktionierte in der Tatnacht der Notruf nicht? Wieso war der Notausgang in der Arena Bar verschlossen? Wäre er nicht verschlossen gewesen, hätten alle aus der Arena Bar rennen können, sie hätten überleben können. Wäre der Notausgang nicht verschlossen gewesen! Wieso mussten die Angehörigen dafür eigenständig ein Ermittler-Unternehmen einschalten? Wieso wurden die Verfahren zum Notruf und zum Notausgang eingestellt? Wieso lies man die Familien und Hinterbliebenen in der Tatnacht bis 6 Uhr morgens warten, ohne Informationen - während die Polizisten den Journalisten Interviews gaben? In der Tatnacht waren SEK Beamte aus Frankfurt im Einsatz, die in rechtsextremen Chats waren. SEK Beamte sollen am Tatort nach dem rassistischen Täter suchen und sie sind selbst in rechtsextremen Chats. Wieso wurden diese Beamten nicht entlassen und nur von Frankfurt nach Wiesbaden versetzt? Wieso stellt sich der hessische Innenminister Beuth vor das Mikrofon und spricht von exzellenter Polizeiarbeit in der Tatnacht? Wieso? Die einzige Frage die bleibt ist Wieso? Wieso legen Politiker in Hanau Kränze nieder aber sagen vor den Kameras „Hanau muss zur Normalität zurück kehren“? Wieso gibt es bis heute kein Mahnmal? Wieso mussten die Hinterbliebenen mit einer Bohrmaschine und Holz selbst die Bilder der ermordeten anbringen? Wieso wurden diese Bilder abgerissen, verbrannt und mit Hakenkreuzen beschmiert? Wieso gibt man den Hinterbliebenen Gefährderansprachen, wenn der Vater des Täters die Familien bis heute bedroht und die Waffe seines Rassistischen Sohnes zurück haben möchte? Wie lange wird noch von „Einzelfällen“ gesprochen? Wie lange wird noch gesagt, die neun Unschuldigen seien „gestorben“ und nicht „ermordet“ worden? Fragen, auf die wir keine Antworten bekommen. Fragen, die alle betroffenen und Vor allem die Familien Angehörigen seit vier Jahren schlaflos lassen. Auf die Frage, was Cetin Gültekin, Bruder des Ermordeten Gökhan Gültekin, von der Politik ganz konkret fordert sagte er zu mir: „Was die Politik angeht, habe ich keine Hoffnung mehr. Wir schreien seit vier Jahren, „Nazis entwaffnen“ – Wir sehen 35 Prozent mehr Rechtsextremisten mit Waffenerlaubnis. Wir sagen „Rassisten raus“ und sehen, gerade hier in Hanau, dass die AfD nach dem rassistischen Terroranschlag mehr Stimmen als davor bekommt – und zweitstärkste Partei ist. Wir, SAGT CETIN GÜLTEKIN, haben vier Jahre gekämpft, damit die AfD noch stärker wird.“ - Es ist wichtig und richtig auf die Straße zu gehen und ein Zeichen zu setzen - aber Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art - wann begreift man es endlich, wie viele Opfer müssen noch ermordet werden- ist nichts Neues, auch nicht unter dem schrecklichen Begriff der Zitat „Remigration“ - ein Begriff der Rechten - den die AfD und andere Rassisten seit Jahren im Bundestag und öffentlich verwenden - nicht erst seit der Enthüllung des Treffens in Potsdam. Rassismus tötet. In Deutschland wurden hunderte Menschen von Rechtsextremisten ermordet. NSU, Mölln, Solingen, Halle, Hanau. Um ein paar wenige Beispiele zu nennen. Zwischen 1980 und 1985 verübten Skinheads mehrere Brandanschläge in Hamburg - Die Dichterin Semra Ertan verbrannte sich 1982 aus Protest - in Deutschland. Sie tritt in den Hungerstreik, um auf die Situation der sogenannten Gastarbeiter aus der Türkei hinzuweisen. „mein Land hat uns nach Deutschland verkauft, wie Stiefkinder, wie unbrauchbare Menschen“ sagt Semra Ertan in ihrem Gedicht „mein Name ist Ausländer“ - „wenn dir deine Arbeit nicht gefällt, geh in deine Heimat, sagen sie“ auch das ist in dem Gedicht. Meine Babaanne, meine Oma, die gemeinsam mit meinem Dede, meinem Opa, nach Deutschland gekommen ist; ruft mich unter Tränen nach der Correctiv Recherche an und fragt, ob sie wirklich in ein afrikanisches Land abgeschoben wird oder ob sie zur Not auch selbst entscheiden dürfte, in die Türkei zurück zu gehen.

Es ist wichtig, dass wir heute hier stehen. Aber wir sollten nicht nur einmal im Jahr, an diesem Jahrestag, an die Ermordeten erinnern. Alle die heute hier sind: Wir sind uns einig, dass Hanau niemals in Vergessenheit geraten darf. Dass wir weiterhin gegen Rassismus kämpfen MÜSSEN - und es ist gut, von Menschen umgeben zu sein, die genau das unterschreiben. Aber es ist die Aufgabe von uns allen, diesen Kampf gegen Rassismus, auch in Räume zu tragen - die unbequem sind. Leider muss das oft unsere Aufgabe sein, auch wenn es nicht unser Job sein sollte. Bitte unterstützt die Bildungsinititativen in Hanau - die Initiative Ferhat Unvar und die Initiative 19. Februar. Seit vier Jahren leisten sie unermüdliche Arbeit, sie kämpfen als FAMILIEN ANGEHÖRIGE, ALS MÜTTER, ALS BRÜDER VON KINDERN, DIE BRUTAL ERMORDET WURDEN. WEIL SIE SO AUSSAHEN WIE SIE AUSSAHEN , WEIL SIE SO HIESSEN WIE SIE HIESSEN. RASSISMUS TÖTET. HANAU IST IMMER UND ÜBERALL. Lasst uns zusammen Gedenken: In Gedenken an Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren. Sedat Gürbüz, ermordet mit 29 Jahren. Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren. Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren. Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren. Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren. Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren. Ferhat Unvar, ermordet mit 23 Jahren und Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Wir vergessen nie.

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Myra Anam

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Jasmin Schellong