Jasmin Schellong
Hamburger haben Hunger
Mehrgewichtige Menschen und Hamburger haben etwas gemeinsam: In erster Linie sind sie einsam. Wären beide Unternehmen, hätten sie vermutlich ein Imageproblem. Als Fast-Food ohne Extra-Käse landen sie zur Hälfte unzerkaut in den Mägen der Leute. Während die Gänsekeule die materialisierte Wohlstandfamilie darstellt oder die Pizza nur erfunden wurde, um Kindern das Bruchrechnen zu visualisieren, kennt der Hamburger seinen Platz.
Nicht alle Menschen haben dieselben Rechte. Nirgendwo wird dies deutlicher als beim Essen. Hamburger sind neben Ohrpiercings und Polyesterkleidung das Ungesundeste, was man seinem Körper antun kann. Dennoch dürfen dünne Menschen sie konsumieren. Auch öffentlich. Mehrgewichtige Menschen mit Hamburger in der Hand rufen hingegen häufig heftige Reaktionen hervor. Als die Autorin einst einen Hamburger in der Straßenbahn verspeiste, bedachte sie der Mann gegenüber, der drei Haltestellen brauchte, um eine korrekte Nachbildung des Bernsteinzimmers aus seinem linken Ohr zu ziehen, mit einem finstern Blick und einer Beleidigung aus dem landwirtschaftlichen Nutzviehbereich.
Der Mensch ist zwar ein Individuum, aber immer auch Teil einer Gesellschaft, eines Landes oder der GEZ. Woher kommt sie also, die tief verwurzelte Ablehnung von allen, die mehr wiegen, und was kann man dagegen tun?
Zum Glück gibt es für nahezu jedes Problem jemanden, der sich damit auskennt. Die renommierte Leopoldina sprach im Jahr 2019 von einer Adipositas-Epidemie in Deutschland. Damit ist starkes Übergewicht mindestens genauso ansteckend wie eine Schwangerschaft oder Leukämie. Die Leopoldina sollte es besser wissen. Es erstaunt vor allem der Umstand, welche Erkenntnisse in der Veröffentlichung Erwähnung fanden. Bei so viel Adipositas fällt eine dünne Datenlage wohl nicht weiter ins Gewicht.
Menschen mit mehr Kilos auf den Rippen träumen anders. Forscher:innen haben herausgefunden, dass sie selbst in ihren Träumen zu schwer sind und sich nie schlank sehen. Die Forschung steckt noch ziemlich in den Kinderschuhen, denn dafür benötigt man ein funktionelles Magnetresonanz-Tomogramm. Dies hat jedoch in den allermeisten Fällen ein zulässiges Höchstgewicht wie ein herkömmlicher E-Scooter.
Alle dieser erhobenen Daten sind empirisch und mit jeder Zelle erlebt worden. Die Verfasserin beispielsweise ist gut in Latein. Sie hatte hier aber auch einen Vorsprung. Die meisten Vokabeln kannte sie aus Arztbriefen. Als in der Schule der Lehrer von Cäsars Schlachten dozierte, konnte sie dann vor sich sehen, wie Cäsar den gallischen Krieg alleine dadurch gewann, seinen beleibteren Gegnern das Wort A-d-i-p-o-s-i-t-a-s entgegenzuschleudern.
Dicke Menschen kosten Geld und müssen oft zur Kur. Mütter weinen, wenn sie ihre Kinder in einen dieser Mineralwasserorte zum Abnehmen schicken. Kinder feiern dort Geburtstag, Weihnachten und Ostern. Ein Blick in die Hausordnung verrät: Das dürfen sie nur draußen, damit man Deko und Konfetti leichter beseitigen kann. Das sammelt sich manchmal zwischen den Fugen und beginnt zu verrotten.
Shopping hat nun zum Glück ein Gewissen. Faire Stoffe, faire Farbe. Made in Bangladesch. Auf dem Kontoauszug am Monatsende steht trotzdem Hennes & Mauritz. Designer meinen es gut mit Mehrgewichtigen. Mut zur Farbe. Bunte Kleidung, am besten mit floralem Muster. Damit ist der Weg frei für die Größe 52-Stoffimitation einer fleischfressenden Pflanze.
Selbstoptimierung, los geht’s. Deutschland liebt Kieser-Training. Von untrainierten Bürostuhltester:innen über das neueste Opfer des aufrechten Ganges mit akutemBandscheibenvorfall bis hin zu Männern, die gerne mal ihre Frauen schlagen. Alle sollten auf eine ergonomische Haltung achten. Nun benötigen mehrgewichtige Menschen für ihre Angst, sich öffentlich zu exponieren, meistens ein Lastenfahrrad. Deshalb meiden sie für gewöhnlich Orte, an denen der Schweißfuß kollektiviert wird. Dabei wäre doch gerade für sie Bewegung so wichtig. Klar gibt es auch adipöse Menschen, die so viel wiegen, weil sie Medikamente einnehmen, bei denen als Kind schon Rheuma festgestellt wird, und die Cortison zu sich nehmen wie andere Toffifee.
Jetzt mal Margarine bei die Fische, das sind doch Ausnahmen. Bewegung. Diät, Disziplin. Wäre von allem mehr vorhanden, zeigte die Waage sicher auch weniger. Dabei geht es ja nicht vordergründig um die Ästhetik, sondern um die Gesundheit. Jede Ärz:tin wird bestätigen: Wer zu viel wiegt, stirbt früher.
„Frau S., mit Ihrem Gewicht leben Sie nach heutigem Forschungsstand zehn Jahre weniger. „Das habe ich gleichgesehen, als Sie zur Tür herein sind.“
Dr. Kleins Stimme hört sich dabei gar nicht an wie die von den jungen Ärzten in der ARD, sondern klingt eher nach dem Kommentator einer Tierdokumentation, der den Zuschauer:innen die Zerfleischung der Antilope durch den Löwen näher bringt. Vorsätze, dass man Praxen von Ärzten, deren Zimmerpflanzen so aussehen, künftig nicht mehr 75 besucht, ändern retrospektiv wenig. Ohne Anspruch auf Pauschalisierung, aber dick sein ist meistens nicht toll. Unsichtbar sein, das wäre schön. Dabei ist man das Gegenteil. Beleidigt, innerlich durch 0 geteilt werden. Mitmenschen begegnen, die einen Insektenblick bekommen, wie Samsas Schwester. Ich habe es erlebt.
Wenn also irgendwo in Deutschland an einem Mittwoch auf einem Aldi-Parkplatz ein Vater seiner Tochter das Fahrradfahren zeigt und die beiden anschließend einen Hamburger essen gehen, lasst sie einfach.
Hamburger brauchen genau wie Menschen Gesellschaft. Gepäck trägt jeder genug mit sich 85 herum. Im Himmel ist am Ende kein zweiter Koffer erlaubt, genau wie bei der Eurowings.