Der linksgrünversiffte Ökofaschist

Ein Essay von Niklas Becker

Vergeblicher Versuch einer Einleitung

Dies ist nicht der erste Versuch, eine Einleitung zu dem Ihnen vorliegenden Essay zu verfassen. Das liegt darin begründet, dass der endgültige Text, den Sie sogleich lesen werden, ein ganz anderer geworden ist als ich zuvor beabsichtigte, weil ich selbst feststellen musste, dass die Themen, über die ich hatte schreiben wollen, mich emotional deutlich mehr beeinträchtigen als von mir vermutet. Was eine nüchterne Betrachtung gesellschaftlicher und politischer Missstände hatte werden sollen, entpuppte sich als ein verzweifelter und wütender Versuch, auf wenigen Seiten all die Problematiken und die mit ihnen verbundene Entrüstung und Hoffnungslosigkeit meinerseits zum Ausdruck zu bringen. „Musik ist keine Lösung“, singt Alligatoah, doch vielleicht ist Literatur und die Demonstration ehrlicher Betroffenheit und Verzweiflung die Lösung, oder kann zumindest zu einer beitragen, denn „die Menschen sind nicht böse, die Menschen sind nur dumm“. Also werde ich auf ein Neues versuchen, den Menschen Vernunft einzutrichtern, sie zum Handeln zu bewegen, ihnen, wenn nicht Mut, so wenigstens Wut zu geben. Dieser Essay ist meine Form des Widerstands, mein Mittel, um meiner Unzufriedenheit Luft zu verschaffen, alles in der Hoffnung, dass ihn die richtigen Menschen zu Gesicht bekommen, dass meine Worte gehör finden und jenen als Munition dienen werden, die mutig genug sind, den Abzug zu drücken.
Dieser Essay kann und will keinen Anspruch auf Differenziertheit machen, doch es handelt sich nicht um „cherry-picking“, sondern um Tollkirschen, deren Nachgeschmack zur Schlussfolgerung „Da müsste echt mal einer was machen!“ führen wird, dem Schlachtruf der Revolutionäre und Extremisten. Die Grenze zwischen Ernst und Satire zu ziehen ist eine Aufgabe, die ich dem gewillten Leser aufbürden möchte, denn der Übergang von Sinn zu Wahnsinn ist oft fließend; der französische Dichter des Surrealismus, Andre Breton, sagte einst „Wir wollen und werden es haben, das Jenseits zu unseren Lebzeiten“, und am Ende dieses Essays wird ein jeder Richter seines Gewissens sein, wenn er vor der Frage steht, ob er sich für den Himmel oder die Hölle entscheidet.

Viel Vergnügen!

Die Ignoranz; Schattenboxen und Relativismus

Beginnen wir mit der Schlagzeile eines Bild-Artikels; „SO SIND DIE KLIMA-KLEBER Verwöhnt, verlogen, radikal!“ Der gute alte Populismus der Bild-Zeitung, der vierten Gewalt in Deutschland, die die Gewaltenteilung einen ticken zu ernst nimmt, indem sie Teilung durch Spaltung bewirken will. Eine Zeit, die Einheit, die kollektive Kollaboration braucht, um die selbstverschuldete Vernichtung noch abzuwenden. Das ist das Schattenboxen, das Lenken der öffentlichen Debatten in die absolute Bedeutungslosigkeit; im brennenden Haus schreit die Öffentlichkeit ihre Kinder an, dass sie ihr Zimmer wieder nicht aufgeräumt haben. Oder dass sie es vorziehen, sich freitags für den Erhalt ihrer Zukunft auf die Straßen zu schlagen, anstatt für diese wankende und schwankende Zukunft Mathe zu pauken, sich mit Integralrechnung und if-clauses zu befassen. Tote Menschen brauchen weder Mathe noch Englisch, sie brauchen Rettung und Erlösung, doch alles läuft darauf hinaus, dass ihnen selbst ein anständiges Begräbnis verwehrt bleiben wird. Es wird nie über das Wesentliche gesprochen, alles dreht sich um Nebensächlichkeiten, um „Angst, Hass, Titten und de[n] Wetterbericht“, damit die Bürger so sehr in eine Schlammschlacht vertieft sind, dass sie ganz vergessen, wer sie in den Schlamm geschubst hat. Volker Pispers hat es am besten zusammengefasst: „Was meinen Sie, was in diesem Land los wäre, wenn mehr Menschen begreifen würden, was hier los ist?“ Doch zum Glück ist nichts los in diesem Land, kein Rechtsruck, kein Klimawandel, keine Korruption in der Regierung, die wahren Zustände sind kriminelle Ausländer, die Babys essen, Schulschwänzer aus Leidenschaft, nicht aus Notwendigkeit, und Lobbyismus, um die ehrenwerten Interessen der sich sozial engagierenden Unternehmer und Arbeitgeber, um nicht zu sagen Arbeitsschenker, dieser großzügigen, selbstlosen, von Wohlwollen erfüllten Gottesprediger, zu vertreten. Die „Klima-Kleber“ sind ein Produkt unserer Zeit, ein notwendiges und dennoch verrufenes. Niemand möchte über Inhalte sprechen. Niemand möchte daran erinnert werden, dass wir uns mit unserer Dekadenz und Uneinsichtigkeit das eigene Grab schaufeln. Also wird jeder Protest, und hier sei angemerkt, dass diese Proteste lediglich fordern, dass sich der Staat an die Verträge hält, die er selbst unterzeichnet hat, zu einer Debatte über angebliche Heuchelei und Grenzen des Protests, wohlgemerkt dem wichtigsten demokratischen Mittel überhaupt. Wer teilnimmt an der Verunglimpfung der „Klima-Kleber“, der stellt sich auf die Seite der Selbstvernichtung und auf die der Feinde der Demokratie, in der man nur für das demonstrieren darf, was sowieso gesichert ist. In einer Zeit, die verzweifelt nach Veränderung schreit, soll man nur für die Erhaltung des Status Quo auf die Straßen ziehen dürfen, für die Konservierung des Todesurteils. Denn nichts anderes ist die politische Mitte! Sie ist rechts, sogar rechtsextrem, und radikaler, als die „Klima-Kleber“ je seien könnten. Wenn Veränderung zur Notwendigkeit wird, sind Vertreter konservativer Forderungen entweder inkompetent oder Menschenfeinde, doch lasst uns nicht darüber reden. Lasst uns debattieren über die Schulpflicht, über die Verkehrssicherheit, über mein individuelles Recht, Fleisch zu essen.
Plötzlich ist der Zivildienst wieder ein großes politisches Thema; für Steinmeier ist er die Antwort auf die Frage, „[…]wie wir wieder zu mehr Gemeinsinn kommen […]“, schließlich leidet der Gemeinsinn unter den jungen Menschen, die in der Corona-Pandemie zurücksteckten, die ihre Zukunft im Bundestag jeden Tag ein Stück näher Richtung Abgrund gedrängt sehen. Ein billiger Versuch, die Fehler von 16 Jahren CDU, ja Herr Merz, der CDU, nicht der Ampel, zu kaschieren, indem man die jungen Menschen als billige Arbeitskräfte in Berufsgruppen drängt, die der Bund seit Ewigkeiten stiefmütterlich wie den letzten Dreck behandelt. Wir werden als Lösung für Probleme instrumentalisiert, die von Menschen versursacht worden sind, die jetzt schon ausgesorgt haben, weil sie sich durch Lobbyismus für die Privatisierung des Gesundheitswesens, die Leitung von Krankenhäusern nach ökonomischen Gesichtspunkten, die Taschen vollgestopft haben, und wir anscheinend das einzige Land sind, dass sich vor dem Begriff Korruption scheut und lieber Lobbyismus sagt.

 Rosa Luxemburg spricht dem Generalstreik ab, dass er ein vorherbestimmtes, planbares Phänomen ist; er wird von den Umständen zwangsweise hervorgerufen, denn davon geht die Theorie des historischen Materialismus seit jeher aus, die Geschichte gebärt gemäß den ökonomischen Umständen ihre Kinder, in Zeiten der Unterdrückung bringt sie die größten Menschenfreunde hervor.
Doch was, wenn die Geschichte von morgen des Menschen von heute bedarf, wenn es Weitsicht braucht, wir aber zu sehr damit beschäftigt sind, über dem Heute das Morgen zu vergessen? Es gilt nicht mehr, die ökonomischen Ketten zu verlieren, sondern die ökologischen fester zu ziehen, denn dieses Mal gibt es tatsächlich eine Welt zu gewinnen. In der westlichen Gesellschaft hat man sich an den für einen Großteil der Weltbevölkerung unvorstellbaren Luxus gewöhnt, Menschen sind für die Befreiung von den Lehensherren und die Abschaffung der Monarchie gestorben, nun sind sie bereit dazu, einen ganzen Planeten dem Untergang zu weihen, um heute nicht auf ihre „Freiheit“, mit 180km/h auf der Autobahn fahren oder importiertes Obst und Fleisch aus Schlachthöfen essen zu dürfen, verzichten zu müssen. Hier haben wir eine klassische, spieltheoretische Pattsituation, niemand möchte heute auf etwas verzichten, aus Angst, dass wir es trotzdem nicht schaffen, dass die anderen nicht mitziehen.
Immer wieder hört man von diesem Relativismus, Deutschland sei global betrachtet ein so kleines Land, dass wir auf das Klima kaum einen Einfluss haben. Natürlich schaffen wir es nicht alleine, es klappt nur, wenn alle mitziehen. Alle! Also eben auch wir! Aber stattdessen leben wir lieber heute weiter im Überfluss, frei nach dem Motto „It’s better to burn out than to fade away“.
Man kann sich immer fragen, ob der Zweck die Mittel heiligt, und nie war die Antwort klarer als jetzt. Ja! Ja, der Zweck heiligt die Mittel, wenn der Zweck das Überleben der Menschheit ist! Als wäre es ein müder Scherz, eine ironische  Bemerkung, wenn man über uns als die „Gen-Z“ spricht. Die Alten erwarten von uns auch noch, dass wir diesen Titel gehobenen Hauptes, mit Stolz im Gesicht und unbändigem Gehorsam im Kopf tragen, immer darauf bedacht, dem Arbeitsmarkt bestmöglich zur Verfügung zu stehen, als hätte man ihn uns nicht aus Spott verliehen, als wäre er ein Adelstitel. Ein Armutszeugnis und eine letzte Beichte vorm Generationenmord ist diese Bezeichnung! Liebe Bild, wir sind nicht verwöhnt, wir sind verzweifelt, wir sind nicht verlogen, wir sind betrogen, betrogen um unsere Zukunft, und sicherlich radikal, aber noch längst nicht radikal genug!  Welchen Wert hat das Dürfen von heute, wenn wir morgen nichtmehr können werden?
Alles wird gut, so sprechen die Eltern zu ihren Kindern, ohne dabei rot zu werden. Vom eigenen Schöpfer zum Tode verurteilt, vom Mörder des Verbrechens bezichtigt und ins Höllenfeuer verbannt worden. Das Schicksal dieser Generation. Und eines Tages, eines Tages, wenn die Deiche brechen und die sengende Sonne unsere Haut in Brand setzt, werden wir unseren Kindern in die Augen schauen und in guter deutscher Tradition sagen „Wir haben von nichts gewusst!“

Obligatorische Kapitalismuskritik eines neomarxistischen RAF-Sympathisanten

Volker Pispers sagte einst in seinem Programm „Auf dem Grabstein des Kapitalismus wird einmal stehen ‚Zuviel war nicht genug‘“, und er wird Recht behalten. Wir haben den Luxus zum geheiligten Menschenrecht ernannt, zumindest, wenn man in westlichen Ländern lebt; denn auf den Grabsteinen der weniger vom Glück geküssten Nationen wird gegenteilig einmal stehen „Selbst zu wenig war noch zu viel“. Aber ist doch mein gutes Recht, nicht? Wo kommen wir denn hin, wenn die Menschen, die die Kleider nähen, sie auch tragen, wenn die, die unsere exotischen Früchte ernten, sie auch essen könnten? Luxus ist schön, besonders dann, wenn er auf Leichen baut, wenn mein Gewinn des Anderen Verlust ist. Denn nichts anderes ist die moderne, globalisierte Welt. Wir haben die Schuld zum Allgemeingut erklärt, frei nach dem Motto „Sind alle schuldig, dann ist keiner schuldig“. Wer kann sich ein gutes Gewissen noch leisten? Der Kapitalismus kann nur dann fair sein, wenn alle gleichberechtigt sind, somit scheitert er bereits in seiner einzigen ihn legitimierenden Prämisse, nämlich der Chancengleichheit der Menschen. Doch aus der Gleichheit machen wir uns nichts, sie muss hypothetisch bleiben, „Die Menschen sollen reisen dürfen, nicht können“, wie Pispers sagt. Wir sind so bedacht auf unsere hypothetischen Rechte in westlichen Ländern, tun zugleich aber alles dafür, ein System zu verteidigen, dass uns jeder dieser Rechte in der Praxis beraubt. Tja, wer den Hungertod stirbt, der ist wohl einfach faul gewesen, kann man nichts machen. Beim nächsten Mal wird’s besser, ganz bestimmt. Wir debattieren zurecht in letzter Zeit, aus moralischen und ökologischen Gründen, übers Fleischessen, und das ganze selbsternannte Volk der deutschen Autobahnflitzer und Grillmeister echauffiert sich über die grüne Ökodiktatur und die Greta-Jünger von Fridays for Future, die ihnen ihr gottgegebenes Recht, gottgeschaffene Geschöpfe erst zu quälen und dann zu vernichten, nehmen wollen, diese ganzen Bessermenschen. Dann müsste man sich ja eingestehen, dass die Grenze zwischen Freund des Menschen und Fressen des Menschen willkürlich gezogen worden ist. In Deutschland will man keine Bessermenschen, diese verkappten Moralisten mit ihrer geheimen Agenda, mir heute mein Steak vom Teller nehmen zu wollen, nur, damit ich und meine Kinder morgen noch Gebrauch von unserem Recht auf Leben, auf Unversehrtheit von Leib und Seele machen können. Weg mit diesen Bessermenschen! In Deutschland ist man noch stolz, keine Bessermenschen, Übermenschen sollens sein, doch nicht in Nietzsches Sinne, sondern bloß die inzestuöse historische Realisierung, der Bastard des Beischlafs eines so schönen Ideals mit rechter Ideologie.
Flüchtlinge willkommen, aber doch bitte nur die weißen, nicht diese „alimentierten Messermänner“, die passen schließlich nicht zur deutschen Leitkultur, was auch immer das sein soll; Kreuzzüge? Hexenverbrennungen? Holocaust? Genozide überhaupt? Das ganze rechtsextreme, antisemitische Gedankengut? Ein guter deutscher Bürger ist genauso hell wie sein Kopf leer ist, sonst ist man eben kein „echter“ Deutscher. Bier, Völkermord, Brezel, Fremdenhass, Bratwurst und Holocaustleugnung, die großen deutschen Kulturgüter, die sich auch außerhalb der eigenen Grenzen immer größerer Beliebtheit erfreuen, was für Trendsetter wir doch sind! Reinster Exportschlager, diese Menschenfeindlichkeit, das kommt der Bilanz zugute. In diesem Kontext nimmt das „deutsche Reinheitsgebot“ ganz andere Ausmaße an. Und ist es nicht komisch, dass ausgerechnet die größten Neonazis Holocaustleugner sind? Der Holocaust ist doch ihr USP! Wenn das der Führer wüsste, dass gerade seine ideologischen Erben sein Lebenswerk leugnen. Stellt euch doch auf die Straße, brüllt aus vollem Leibe mit Stolz in der Brust, dass der Holocaust passiert ist. Droht damit, Synagogen anzuzünden, was soll euch schon passieren? Der Verfassungsschutz ist gerade vollkommen überlastet damit, sicherzustellen, dass keine jungen Leute Kartoffelbrei kaufen, und Olaf Scholz hat die Drohung schon wieder vergessen, bevor sie seine Ohren erreicht hat. Mit ihm hat Deutschland zum ersten Mal seit 90 Jahren wieder einen Folterknecht als Staatsoberhaupt, dessen Gewissen gleich seinem Gedächtnis und seinem Diensthandy auf Werkseinstellungen zurückgesetzt ist.

Wussten Sie, dass Sie ihren Arbeitsplatz oder ihre Ausbildungsstätte frei wählen dürfen? Also vorausgesetzt, dass Sie über das nötige Kleingeld verfügen, in eine 11qm große Wohnung für 500€ kalt zu ziehen. Aber zum Glück gibt es ja noch die vollkommen überfüllten Wohnheime mit Listenplätzen, die man dann pünktlich zum Renteneintritt beziehen kann. Oder die effektive Mietpreisbremse des Staates. Spaß beiseite, ich bin einfach froh, in einem Land zu leben, in dem man zum Wohle der Allgemeinheit Unternehmen enteignen kann, wie zum Beispiel Erika und Thomas, die sich schon so sehr auf ihren Ruhestand im Landhaus gefreut haben, das nun aber leider einer Autobahn weichen muss. An der Stelle vielleicht einfach mal dankbar sein, dass unter ihrem Haus keine Kohle gefunden worden ist. An dem Tag, an dem Wohnunternehmen enteignet werden, stehen die Wohnungen unter Wasser, und das im dritten Stock. Gutes Stichwort, „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“ heißt es in Artikel 20a des deutschen Grundgesetzes. Als Herr Merz das gelesen hat ist ihm vor Lachen beinahe das vergoldete Steak auf den feinen Ledersitz seines Dienstags-Privatjets gefallen und ganz wie in alten Zeiten scheißt man bei uns auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. „Ich habe eine andere Rechtsauffassung als der EuGH“, oder wie man in Bayern sagt: „Direktmandat!“. Sollten Sie zum Lesen des Artikels rund 10 Sekunden gebraucht haben, so sind in der Zeit 230 Tiere, allein in Deutschland, größtenteils Hühner, von armen Schweinen aus Rumänien, Polen und Bulgarien geschlachtet worden, die sich von der Arbeit in Deutschland ein besseres Leben versprochen hatten. Stattdessen sind sie Massenmörder in einem der traditionsreichen deutschen Vernichtungslager geworden.

 

Eine interessante Beobachtung zur Geschichte des Kapitalismus findet sich in Max Webers Werk „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, dort arbeitet er einen der großen anfänglichen Widersacher der kapitalistischen Wirtschaftsweise heraus; die menschliche Arbeitsmoral. Man hatte zur Anfangszeit des Kapitalismus versucht, die Akkordlöhne der Arbeiter zu erhöhen, das heißt den Lohn pro produziertem Warenstück, in der Erwartung, dass die Produktivität der Arbeiter ansteigen würde, da sie nun in der gleichen Arbeitszeit mehr Geld erwirtschaften könnten. Doch das Gegenteil war der Fall, die Menschen stellten weniger Produkte her, da sie nun mit weniger Arbeitsaufwand ihre Bedürfnisse genauso gut befriedigen konnten wie vor der Erhöhung der Akkordlöhne. Der mit dem „Money-Grindset“ ausgestattete Justus Aurelius hat sich soeben beim Lesen spontan auf das Interieur seines Siebener-BMWs übergeben, doch kein Grund zur Sorge, der Kapitalismus lässt sich doch nicht von Kleinigkeiten wie der menschlichen Natur aus der Fassung bringen, schließlich hatte er bereits durch den Calvinismus die christliche Nächstenliebe überwunden, wäre doch gelacht, wenn er nicht auch für dieses Problem eine Lösung parat hätte. Denn wenn Aussicht auf Luxus den Menschen nicht dazu bewegen kann, sich aus „freien“ Stücken dem Kapital zu versklaven, sollte man einfach dafür sorgen, dass entweder alles so teuer wird, dass er produktiver arbeiten muss, oder seinen Lohn so sehr senken, dass er Tag und Nacht arbeiten muss, um jeden Tag ein Stück Trockenbrot und ein Glas Wasser zu haben. Das hat natürlich auch seine Vorteile; wer nach zwei Jahren stirbt, weil sein Körper nicht mehr mitmacht, oder bereits der dritte Arbeiter ist, der diese Woche wegen der schlechten Unfallprävention seinen Arm an die Kreissäge verliert, der braucht sich wenigstens keine Sorgen um seine nicht vorhandene Altersvorsorge zu machen. Aber wieso etwas ändern? Arbeit und Leistungsdruck sind inzwischen so glorifiziert und eins mit der Identität der Bürger geworden, wie Nietzsche bereits sagte: „Es giebt Manchen, der seinen letzten Werth wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf.“

Nichts steht so sinnbildlich für den Geist des Kapitalismus, wie der Fakt, dass Bismarcks Sozialgesetzgebung nicht etwa der Güte seines Herzens entsprungen ist, sondern dem machtpolitischen Bedürfnis, den linken Parteien ihre Wählerschaft streitig zu machen. Wir haben keine besseren Arbeitsbedingungen oder bessere Löhne, weil Menschenleben einen Wert haben, weil wir aus der Zeit der Aufklärung gelernt haben, sondern weil es nicht gut fürs Geschäft ist, wenn deine Arbeiter, deine wichtigste Ressource, denn nichts anderes sind Menschen im kapitalistischen System, dir ständig wegsterben. Hungrige und tote Menschen sind keine guten Arbeiter, in erster Linie sind sie totes Kapital. In der modernen westlichen Gesellschaft bedient der Kapitalismus sich eines anderen Kunstgriffs, nämlich der Werbung. Warum dem Geschäft durch schlechte Arbeitsbedingungen schaden und zugleich Anlass zur Revolution bieten, wenn man den Menschen stattdessen auch schlicht und einfach einreden könnte, dass sie immer mehr und mehr, bis zum Burnout, bis zum Herzinfarkt, arbeiten müssen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen? Der freie Markt richtet sich nicht nach Angebot und Nachfrage, er kreiert sie, er schafft sich seine Nachfrage. Er stellt Produkte bewusst so her, dass sie nach einer gewissen Zeit den Geist aufgeben, denn wieso nur einmal abkassieren, wenn man das gleiche Produkte Jahr für Jahr erneut an den Mann bringen könnte?
Marx sagt, dass auch der Kapitalist Gefangener der marktwirtschaftlichen Mechanismen ist, dass selbst er sich diesen nicht entziehen kann. Ähnliches sagt Volker Pispers in seinem Programm dazu, dass VW, zum damaligen Zeitpunkt, jedes Jahr eine Gewinnsteigerung von 7% erwirtschaften muss; die klassischen Stellschrauben sind Preis, Löhne und Verkaufszahlen. Wenn man jedes Jahr 7% der Belegschaft kündigen muss, wer stellt die Autos her? Wenn man jedes Jahr die Löhne um 7% kürzen muss, wie lange würde es dauern bis zur Arbeiterrevolution? Wie lange kann man den Preis erhöhen, bis keiner mehr die Autos kaufen will oder kann? Also, was bleibt? Jedes Jahr mehr Autos herstellen und diese dann auch verkaufen. Die Logik des Marktes fordert vom Kapitalisten immer mehr Gewinn und Expansion, um sich gegen die Konkurrenz behaupten zu können. Er MUSS, das ist die Welt, die wir geschaffen haben, Verschwendung, Konsum- und Wegwerfgesellschaft sind notwendige Konsequenzen eines so mächtigen, frei waltenden Marktes. An dieser Stelle sei einmal ein wichtiges Thema erwähnt, die Lüge des ökologischen Fußabdrucks. Eine Erfindung der Lobbyverbände, um Klimaschutz auf den Verbraucher abzuwälzen. Dabei beruft man sich auf Angebot und Nachfrage, wichtige Stellschrauben des Kapitalismus. Wir stehen also vor der Wahl; den Kapitalismus abschaffen, um sich seiner Zwänge zu entziehen und den Planeten zu schützen, oder aber unsere individuelle Freiheit freiwillig zum Wohle aller zu regulieren. Was meinen Sie? Was hat größere Erfolgsaussichten?  Die Probleme sind hausgemacht, und wir lieben sie, wir wollen sie. Denn der American Dream verspricht den Menschen, dass sie alle irgendwann einmal im Luxus leben werden, wenn sie nur fleißig sind. Dass das eine Lüge ist, dass finanzieller Reichtum nur relativ funktionieren kann, dass dieses System nur dann tragbar ist, wenn die Mehrheit zum Wohle einer kleinen Minderheit versklavt wird, das interessiert niemanden.
Dieses Narrativ ist die größte Errungenschaft des Kapitalismus; die Sklaven wollen nicht die Abschaffung der Sklaverei, sie wollen einmal selbst die Peitsche führen dürfen. Und nur für diese verschwindend geringe Chance verteidigen sie das System, das sie unterjocht, bis auf den Tod. Der American Dream ist unser verführerischer Entführer und wir alle leiden unter Stockholm-Syndrom.

Für die Islamisierung des Abendlandes…

Der Chauvinismus und der aus allen Fugen geratene Patriotismus der Deutschen hat zu zwei Weltkriegen geführt, die Trümmerfrauen und Gastarbeiter mussten Deutschland neu errichten, dieses in Grund und Boden gestampfte Land, und mit dieser Geschichte im Hinterkopf halten es rechte Populisten weiterhin für eine legitime Art des Stimmenfangs, die Schuld für innerländische Probleme jeder Art den Ausländern in die Schuhe zu schieben, denen, die bereits hier sind, oder jenen, die noch kommen könnten. Die Radikalen im nahen und mittleren Osten mit Waffen versorgen und den Amerikanern gestatten, dass sie Rammstein dafür nutzen können, um mit Drohnen auf Terroristenjagd zu gehen; Kriege mit bis zu 90% zivilen Opfern, chirurgische Präzision schimpft man das, Verteidigung unserer Werte, die „Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“. Im Krieg und der Liebe ist alles erlaubt, solange man auch ja Frieden und Demokratie, die richtigen Werte, unsere Werte, im Gepäck hat. Und dann wundert man sich, dass diese Menschen, denen wir Alles genommen haben, nun bei uns in den Turnhallen liegen, an der Grenze, den Zäunen der „Festung Europa“, stehen, weil sie sich von der Flucht ein besseres Leben versprechen, besser gesagt erhoffen, denn mehr als Hoffnung ist ihnen nicht geblieben, doch das Narrativ der Rechten wird weitergesponnen, „die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen, mit dem großen Traum, im Park mit Drogen zu dealen“. Wenn sie wirklich gekommen sein sollten, um uns etwas wegzunehmen, wirft das nur die alte Frage auf, ob es wirklich Diebstahl ist, wenn man sich das zurückholt, was einem einst rechtmäßig gehörte.
Wir verstricken uns in unzählige Widersprüche, wir reden von Werten, von denen, die die unseren sind, die „die Ausländer“, die Fremden, nicht besitzen.
'Fachkräfte. Diejenigen, die über die Grenzen dürfen, weil der Kapitalismus das Einzige ist, was Politiker mehr lieben, als sie Fremde hassen. Wir haben nichts gelernt. Die Geschichte ist nicht chronologisch, sie ist zirkulär. Welche Leben sind schützenswert? Alle oder keine? Der Westen hat über Jahrhunderte die Welt unterjocht, seinen Reichtum auf Leichenbergen errichtet, und wenn die Hinterbliebenen nun zu uns kommen, nicht, um Rache zu üben, sondern um an unserem Wohlstand teilzuhaben, dann ist von Schmarotzern die Rede, von Sozialtouristen. Und wenn? Verdient nicht ein jeder ein schönes Leben, egal, wo er geboren wurde? Wir verdienen am Krieg, wir säen Mord und Vernichtung, wollen aber um keinen Preis die Früchte davon ernten. Nichts Schlimmeres kann man den Deutschen antun, als vom Sozialstaat zu profitieren – wollt ihr nicht wenigstens ein paar Kofferbomben platzieren und mit LKWs in Weihnachtsmärkte düsen? Denn das wäre uns lieber. Dann können wir in alter Tradition dem Hass mit Hass begegnen. Daran merkt man, dass Gott tot ist; denn gäbe es noch einen Funken Gerechtigkeit, dann würden Flüchtlinge nicht mit ihren Kindern, sondern mit Waffen in der Hand nach Deutschland kommen. Ein Glück, dass wir vom Glauben abgefallen sind, dass wir uns aus der Gerechtigkeit und aus Werten nichts machen, wenn man sie nicht auf der anderen Seite der Welt zu verteidigen, sondern im eigenen Land zu leben hat.
Wir sind aus Höhlen in Hütten, aus Hütten in Häuser und aus Häusern in Paläste gezogen, ohne auch nur einmal unser grundlegendes Verständnis von Gerechtigkeit in Frage zu stellen; noch immer sind die Würfel schon am Tage der Schöpfung gefallen, und vielleicht wussten das all jene großen Religionsstifter schon damals, sie wussten, dass wir die Erlösung nicht verdient haben, dass das jüngste Gericht niemals zu unseren Gunsten entscheiden wird. Stellvertretend für Deutschlands Ignoranz gegenüber Rassismus und Rechtsextremismus steht, dass Maaßen, selbst ein Rechtsextremist, der Präsident des Verfassungsschutzes war, dem Bundesamt, das rechten Terror bekämpfen soll, und man öffentlich Demonstranten als „Klimaterroristen“, die an die RAF erinnern, bezeichnet. Wenn schon Terror, dann doch wenigstens deutscher Terror, die Dönerbuden müssen brennen, nicht die S-Klassen der Firmenchefs von VW und Co. Wir haben Angst davor, dass uns unsere Vergangenheit erneut einholt, dass wir büßen müssen für unsere Verbrechen, und es handelt sich um keine Kavaliersdelikte;

Übermächtig, überflüssig,
Übermenschen, überdrüssig,
Wer hoch steigt, der wird tief fallen,
Deutschland, Deutschland über Allen!

Nichts hat so viel Leid hervorgebracht wie Rassismus, Antisemitismus und Faschismus, doch weiterhin fürchtet man sich in Deutschland vor nichts mehr, als vor dem linken Terror. Springerstiefel, Glatze und Armbinde, so hat eine deutsche Revolution seit jeher auszusehen, so kennen wirs, so mögen wirs, da kommt Stimmung auf, da fühlt man sich wohl.

Zuvor sprach ich davon, dass wir vom „Glauben“ abgefallen sind; dieser Glaube ist das Thema, mit dem ich meinen Essay beenden möchte.

…und die Errichtung des Morgenlandes

Max Weber redet von der „Entzauberung der Welt“. Früher blickten Menschen in den Nachthimmel und sahen die Götter, ihre Götter, und heute sehen wir leuchtende Fusionsreaktoren.
Als ich ein Kind war erzählte mir meine Mutter, dass der hellste Stern am Himmel mein Opa sei, der auf mich herabschaut, und ich habe ihr geglaubt! Denn nichts ist mächtiger als der Glaube!
Große Denker haben versucht, die menschliche Gattung zu beschreiben, eine Anthropologie des Menschen zu erstellen, und jeder Einzelne von ihnen wurde von der Geschichte ebenso widerlegt wie bestätigt, das ist die „conditio humana“, das menschliche Unterfangen, sich selbst zu greifen zu kriegen! Ziel und Weg ist der Mensch sich selbst, seine Natur ist die Entdeckung seiner Selbst, und, falls es nichts zu entdecken gibt, die Schöpfung seiner Selbst. Wir sind zum Mond geflogen, haben Pyramiden und Wolkenkratzer errichtet, doch dieses Kunststück ist uns bisher nicht gelungen. Immer haben die Menschen geglaubt, an Menschen, an „Helden“, wie Carlyle sagt, an die Götter und an ihre Ideale. Nun ist Gott tot und der Mensch steht vor dem Nichts, oder besser gesagt vor sich selbst, denn laut Feuerbach hat die menschliche Gattung in Gott nur das Spiegelbild seines idealen Selbst gesehen. Der Tod der Götter ist nicht das Ende, er ist der Anfang, der Neuanfang, die Wiedergeburt, eine erneute Renaissance unseres Glaubens, das Küken Mensch hat die göttliche Schale abgeworfen und ist endlich aus dem Ei geschlüpft. Nun gilt es, neue Ideale, neue Werte, zu schaffen, wie Nietzsche sagt, denn nichts anderes ist der Übermensch als die Vereinigung der menschlichen Gattung, um dem eigenen Fortschritt zu dienen, um sich selbst zum Ideal, zur Gottheit zu erheben, denn der Mensch braucht einen Gott, an den er glauben kann. Nicht, weil er Gott braucht, sondern weil er den Glauben braucht.

Doch von diesen großen Ambitionen muss ich mich zum Abschluss meines Textes ein letztes Mal wehmütig abwenden, die Welt um mich herum genau betrachten und mich fragen: Besteht noch Hoffnung? Ich weiß es nicht. Gottverdammt, ich weiß es nicht! Was, wenn nicht? Was, wenn wir tatsächlich Kästners Gang vor die Hunde antreten? Eine Passage aus dem Vorwort seines gleichnamigen Buchs wird mein Schlusswort sein.

„Dass überhaupt nichts hilft, ist – damals wie heute – keine Seltenheit. Eine Seltenheit wäre es allerdings, wenn das den Moralisten entmutigte. Sein angestammter Platz ist und bleibt der verlorene Posten. Ihn füllt er, so gut er kann, aus. Sein Wahlspruch hieß immer und heißt auch jetzt: Dennoch!

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Wohnen und Wünschen

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Geisterlügen