Anna Hege

Liebe Heidelberger*innen, 

Heidelberg, dein Kopfsteinpflaster erinnert mich mit jedem Schritt, den ich gehe, an mein Anderssein. Klack-Klack-Klack dieses Geräusch erzeugt mein rechter Fuß jedes Mal, wenn er auf das Kopfsteinpflaster knallt. Wahrscheinlich hört sich das für mich lauter an als für alle anderen – ist ja auch mein Fuß. Klack-Klack-Klack macht mein behinderter Körper, wenn er auf eure Normalität trifft. Klack-Klack -Klack mein Körper widerspricht eurem Verständnis von Normalität, ohne dass ich ein Wort sagen muss. Es ist mein Dasein, das im Widerspruch steht, zu einer Gesellschaft, die Menschen nach ihren Fähigkeiten bewertet und Leistung zu einem Prinzip erhoben hat. 

Ich will mich wohlfühlen in diesem Widerspruch, weil ich davon überzeugt bin, dass der Wert eines Menschen nicht an seine Fähigkeiten geknüpft ist und wir alle ein Recht auf Teilhabe in dieser Gesellschaft haben. Ich will mich wohlfühlen in diesem Widerspruch, aber ich bin unsicher. 

Ich bin unsicher, weil die AFD in den Wahlumfragen so viele Stimmen bekommt und damit eine rechtsextreme Partei erstarkt. Ich bin wütend, weil Björn Höcke, der seit 2014 der Vorsitzende der AFD-Fraktion in Thüringen ist, in seinem Sommerinterview 2023 sagte „Projekte wie Inklusion und Gender-Mainstreaming bringen unsere Kinder nicht weiter. Inklusion sei ein Ideologieprojekt, von dem man das Bildungssystem befreien müsse.“ Ich bin wütend, weil Inklusion kein Ideologieprojekt ist, sondern ein Menschenrecht. Ich bin wütend, weil das Bildungssystem in Deutschland eben noch lange nicht inklusiv ist. Ich bin wütend, weil ich eines dieser Kinder war, von denen die AFD das Bildungssystem offensichtlich „befreien“ möchte. Es ist auch kein Zufall, dass Höcke „Gender Mainstreaming“ und Inklusion in einem Atemzug nennt. Denn die AFD ist gefährlich für alle Menschen, die sich gegen eine Gesellschaft zu wehrsetzen, die weiße nichtbehinderte cis-männliche Körper zu Norm erhoben hat. Sie ist gefährlich für alle, deren Existenz im Widerspruch mit den faschistischen Einstellungen der AFD steht. 

Immer wieder sagen mir Menschen, ich müsse einfach weiter die Barrieren in den Köpfen der Menschen bekämpfen. Ich finde diesen Spruch unzutreffend, denn in den Köpfen der Menschen, die die AFD wählen oder ihre Positionen unterstützen stecken keine unüberwindbaren Mauern. In den Köpfen der Menschen, die AFD wählen und sie unterstützen steckt, Ableismus, Rassismus, Sexismus, und Queerfeindlichkeit. Und sie stecken eben nicht nur in den Köpfen, sondern sind ein fester Bestandteil dieser Gesellschaft. Die Barrien, die uns ausgrenzen, sind nicht in den Köpfen sie sind überall um uns herum. Die Angst von behinderten Menschen ist nicht nur in unseren Köpfen, sie ist real. Die Angst von queeren Menschen ist real. Die Angst von jüdischen Menschen ist real. Die Angst von Menschen, die von Rassismus betroffen sind, ist real. Die Menschen, die durch rechtsextreme Gewalt gestorben sind waren real. Die Opfer der NSU-Morde sind real, die Opfer der Anschläge in Hanau sind real, Die Opfer des Anschlags in Halle sind real. All diese Menschen waren real, mit ihren Wünschen und Träumen. 

Es sind fast zehn Jahre vergangen seitdem ich das erste Mal auf einer Gegendemo gegen Pegida auf dem Universitätsplatz hier in Heidelberg stand und wütend war angesichts der wehenden Deutschlandfahnen und der rassistischen Parolen. Fast 10 Jahre in denen viel über die Ängste und Sorgen derer gesprochen wurden, die da brüllten. Ich habe auch Angst, weil sich die Zukunft für mich manchmal nur anfühlt, wie einzige Katastrophe, in der die unterschiedlichen Katastrophen, auf die wir zulaufen, zu einer vereint werden. Klimawandel, Soziale Ungerechtigkeit, Pflegenotstand – es gibt so viele Ängste und Sorgen, die endlich ernstgenommen werden müssen, dass ich sie nicht alle aufzählen kann. 10 Jahre sind vergangen in denen die rechtsextreme Gewalt nicht ernstgenommen wurde. 

Ich wünschte, es gebe wirklich eine Brandmauer gegen den Faschismus, aber was ist das schon für eine Brandmauer, wenn der Bundeskanzler, der zwar auf Demonstrationen gegen die AFD und ihre Pläne teilnimmt, aber gleichzeitig Aussagen trifft wie „wir müssen im großen Stil abschieben“? Was ist das für eine Brandmauer, wenn statt sicheren Fluchtrouten und sicheren Häfen zu schaffen, Asylgesetze verschärft werden, und Bezahlkarten eingeführt werden sollen, die Menschen noch stärker diskriminieren? Eine Brandmauer ist keine Brandmauer mehr, wenn es auf beiden Seiten brennt. Seit dem Jahr 2014 sind bis zum April 2024 rund 29.313 Geflüchtete im Mittelmeer ertrunken. So viele Menschenleben, die hätten gerettet werden können, so viele Menschenleben, die hätten gerettet werden müssen. Wir müssen uns nicht nur der AFD entgegenstellen, sondern dem rassistischen Normalzustand in dieser Gesellschaft widersprechen. 

Ich bin dankbar für alle Menschen, die dieser scheinbaren Normalität widersprechen. Denn ist eine Normalität, die marginalisierten Menschen abspricht ein Teil der Norm zu sein. In der wir ständig für ein selbstbestimmtes und sicheres Leben kämpfen müssen. Eine Normalität, an der nichts richtig ist und eigentlich ist auch nichts daran normal. 

Ich bin dankbar für alle Menschen, die im Widerspruch zu dieser „Normalität“ leben. Ich wünschte euer Leben müsste sich nicht immer anfühlen wie ein Widerspruch. Ich bin trotzdem froh, dass ihr widersprecht. Denn ich glaube fest daran: Das Leben eines jeden Menschen ist zu kurz und zu kostbar, um es Faschisten zu überlassen. Deshalb lasst sie uns bekämpfen, mit allem, was wir haben und mit allem was wir sind. 

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Niklas Werner Becker